“Heute ist Zeit für Herzensangelegenheiten”, denke ich, während ich Leila – meine Trommel – von der Wand nehme. Die sogenannten Eisheiligen sind vorüber und die Sonne wirft ein anmutiges, wärmendes Licht auf unsere Erde. Ich treffe mich gleich mit Freunden an einer besonders interessanten Waldlichtung, an der wir gerne picknicken und ausgiebig trommeln. Es ist lange her, dass wir uns gemeinsam dem Herzschlag von Mutter Erde angeschlossen haben.
Tim, der gleich nach dem Tod seines Vaters seine Sonnentrommel gebaut hat, kommt auch mit. Außerdem sind noch drei sehr gute Freundinnen und Arbeitskolleginnen von mir dabei, die seit Jahren meine, wie nenne ich das am besten, meine Entwicklung und auch die Zuneigung zum Trommeln sehen und vielleicht auch meine innere Ruhe.
Jedenfalls haben Martha, Veronika und Andrea vor einiger Zeit zusammen einen Trommelworkshop besucht, der ihnen allen sehr viel Freude bereitet hat.
Was uns allen bei der Einweihung, das ist die sogenannte Geburtsstunde der Trommel, ihr erster Schlag aufgefallen ist, ist die unumstößliche Tatsache, dass jede Trommel in ihrem Ton, den Charakter ihres Erschaffers wiederspiegelt.
Martha zum Beispiel ist äußerst bodenständig, kaum zu beeindrucken und ziemlich geradlinig. Umso mehr hat es mich gewundert, dass es ausgerechnet ihre Idee war, den Trommelworkshop zu besuchen. Kritik nimmt sie in gleicher Weise unbeeindruckt entgegen. Esoteriker nennt sie Teebeutellutscher. Sie will damit niemanden beleidigen, es ist einfach ihre gerade Art. Martha macht keinerlei Hipes mit, weder modisch noch spirituell und schon gar nicht, wenn es um ihr Essen geht. Sie glaubt nur sich selbst, ihrer inneren Kraft und Führung. Was sie zum schamanischen Trommelworkshop veranlasst hat, ist und bleibt mir also ein Rätsel. Ihre Trommel klingt ihrem Charakter entsprechend Gänsehaut bereitend tief, stark und schwer.
Veronika ist das genaue Gegenteil. Sie glaubt grundsätzlich zuerst einmal alles. Jedoch nicht weil sie, wie man meinen würde, sehr naiv und leichtgläubig ist, sondern, weil sie prinzipiell alles offen lässt. Sie hält ganz einfach alles für möglich. Man könnte sagen, Veronika ist das krasse Gegenteil von engstirnig. Sie hat viel erlebt, gelesen und gelernt, und kommt durch ihre gute Ausdrucksweise und Offenheit mit jedem ganz unkompliziert ins Gespräch. Sie lässt jede Meinung grundsätzlich gelten. Je mehr verschiedene Meinungen sie zu einem Thema hört, umso größer ist ihre Freude. Was bei manch’ anderen zu Verwirrung führt, ist bei Veronika die Bestätigung ihres Lebensstiles. Ihre Trommel schwingt, ihrem Charakter und ihrer Art entsprechend, sehr lange nach. So, als würde der Ton Alles und Jeden erreichen wollen.
Andrea ist die kleine und liebenswerte Zicke unter uns. Sie ist mit ihren 25 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Rechthaberisch, voreingenommen und theatralisch. Martha findet ihre Charaktereigenschaften, wohlgemerkt aus ihrer eigenen Bodenständigkeit heraus, eher aufheiternd. Veronika kommt, wie sich jeder denken kann, sowieso mit jedem klar. Sie gehört definitiv zum ersten Begrüßungskomitee falls sich irgendwann mal Bewohner anderer Planeten zu uns gesellen. Andrea ist neben der Zicke auch der Clown unter uns. Das wurde sie aber erst, als sie ihre Maske fallen lassen konnte. (Das ist eine andere Geschichte). Sie balanciert unsere Gruppe aus. Manchmal reicht nur ein Wort oder eine Mimik von ihr und wir brechen wie Kinder in schallendes Gelächter aus.
Wir, die anderen vier, Tim mit eingeschlossen, sind eher die schweren Denker, während man mit Andrea eben immer etwas zu lachen hat. Ihre Trommel klingt ihrem schnippischen Charakter entsprechend unnatürlich grell und aufbrausend und ist ganz kurz in der Schwingung.
Tims Trommel klingt sehr warm und angenehm weich. Er hat die Trauer um seinen Vater oft mithilfe seiner Trommel verarbeitet. Dafür hat er sie auch gebaut. Ich frage mich, ob sie deshalb warm und weich ist, weil es seinem Charakter entspricht, oder ob sie so geworden ist, weil sie zum Trösten erschaffen wurde und es damit eher ihrem Charakter entspricht. Das ist eine typische Veronika-Frage die offen bleiben wird. Zumindest bis er bereit ist sich eine Neue zu bauen.
Am Waldrand angekommen packt mich schon die Lust zum Trommeln. Ich muss noch ein längeres Stück durch den Wald laufen und dabei lasse ich mich von Leilas Schwingung begleiten. Da ich spät dran bin, bin ich mir sicher, dass die anderen sich schon auf der Waldlichtung eingefunden haben. Aber anders als bei den Terminen die im Alltag einzuhalten sind, lasse ich mich davon, hier und jetzt, nicht stressen. Meine Schritte sind fest, ich atme tief und fühle mich wohl. Leila klingt herrlich.
Plötzlich höre ich eine weitere Trommel in der Ferne. “Lange Schwingung, das ist Veronika! Klaro… das Empfangskomitee” denke ich und lache ihr gedanklich entgegen. Als nächstes höre ich Tims weiche Trommel, gefolgt von Martas und zuletzt, kurz und grell, auch Andreas Trommel, die mich für meine Verspätung zu schimpfen scheint, mich aber keineswegs tangiert, eher noch mehr belustigt.
Wir trommeln, während ich mich weiter nähere.
Ein tiefes Gefühl absoluter Verbundenheit macht sich breit und ich weiß, dass wir alle gerade das Gleiche fühlen. Es geht weit über Freundschaft hinaus, wenn man auf einer Welle schwingt, obwohl man unterschiedlicher nicht sein kann. Es geht weit über Freundschaft hinaus, wenn man kommunizieren kann ohne zu sprechen, sei es durch Blicke, Gefühle oder eben Trommeln. Es geht weit über Freundschaft hinaus, wenn die intimsten Geschichten, Wünsche und Träume gegenseitig Austausch finden ohne Be- und Verurteilung dafür erwarten zu müssen.
Um schamanische Trommeln spielen zu können, braucht man nicht unbedingt Taktgefühl, aber um eine Freundschaft dieser Art zu führen, ist Taktgefühl im übertragenen Sinne wohl unabdingbar.
Kassandra
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